Stehr, Hermann: Nathanael Maechler. 1929 by Hermann Stehr

Stehr, Hermann: Nathanael Maechler. 1929 by Hermann Stehr

Autor:Hermann Stehr [Stehr, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Deutsche Hausbücherei / Hamburg
veröffentlicht: 2011-01-30T23:00:00+00:00


13

Das Wennrichsche Haus auf der Feldgasse trug mit seinem gepflegten Blumenvorgärtlein, seinen klaren Fenstern, seinen sauberen gesandeten Gängen zwischen den Beeten noch immer den Stempel friedvoller, behüteter Beschaulichkeit. Aber wenn vorher hinter seinen weißen Wänden das Leben gegen Verfall und Verzweiflung gerungen hatte, so füllten sich nun, da aus dem Niedergang ein Aufschwung, aus müder Hoffnungslosigkeit rühriger, rüstiger Lebensglaube geworden war, alle Räume mit der Spannung zwischen Lotte und Maechler, die, ohne es selbst Zu wissen oder zu glauben, mit verdeckten Karten um einen Einsatz spielten, gegen den sich das Mädchen wie besessen wehrte und auf den der Mann kaum zu hoffen wagte. Indessen ging das Leben weiter und führte die Entscheidungen auf Wegen herbei, die niemand übersehen konnte. In jener Zeit entbrannte nicht nur in Wilkau, sondern in weiteren Umkreisen der Streit um eine Straße, durch den eine unglaubliche Erhitzung der Gemüter erzeugt wurde. Der alte Handelsweg, der an einem niedrigen Ausläufer des Isergebirges abseits gegen die Landesgrenze hinführte, war schadhaft geworden und sollte durch eine neue Kunststraße ersetzt werden. Man wollte sie von Rehberg durch volkreichere und zukunftsichere Orte bauen, unter denen Wilkau obenan stand. Wie es nicht anders sein konnte, platzten die aus den verrotteten Sturmjahren herrührenden Gegensätze hart aufeinander. Die einen prophezeiten Wilkau ein schnelles ungemeines Aufblühn, wenn es durch die neue Straße näher an Rehberg und die zu erwartende Gebirgsbahn gerückt würde, die anderen wehrten sich dagegen, den kleinen Badeort durch den erhöhten Lärm des Verkehrs aus seiner Stille und der für das Wohl der Kranken so notwendigen Beschaulichkeit zu reißen. Auf der Seite der Anhänger der alten Straße stand der Graf Schilling und der katholische Teil der Bevölkerung. Die Partei der Neuerer rekrutierte sich vornehmlich aus dem Kreise der Evangelischen, die eine Stütze in dem Pastor und einen geheimen Förderer in dem vorsichtigen, ein wenig hindämmernden Gemeindevorsteher Schlicker fand, der niemand wehe tun wollte und es so mehr und mehr mit allen verdarb. Die Hetzereien Zwischen Katholiken und Evangelischen, von den beiden Geistlichen immer mehr angefacht, zerrütteten die kaum erreichte Beruhigung. Die Gemeinde knurrte gegen den standesherrlichen Grafen. Die Geschäftsleute kämpften gegen die Fremdenheimbesitzer. Die Armen beschwerten sich und die Besitzenden waren besorgt. Am leidenschaftlichsten gebärdete sich der Schlosser Neefe, der die Umstände benutzte, sein gesunkenes Ansehen wieder auf die alte Höhe zu bringen. Dieser geschwollene Trommelbauch tobte durch die Gassen, lärmte zum Maulreißen jedes Haus voll, stänkerte sich durch die Stuben, brüllte in Gaststätten und in jedem Marktwinkel.

Immer zudringlicher und unverschämter stellte er sich als Helfer des gnädigen Herrn Grafen und zuletzt als dessen geschätzten Freund und beauftragten Bundesgenossen vor, obwohl es ihm nie gelang, im Schlosse empfangen zu werden. Oft ging er hinein, versteckte sich eine Zeit in einem Winkel des geräumigen Flures und trat dann breitbeinig und triumphierenden Gesichts auf den Schloßplatz heraus, als habe er eben wieder von dem Grafen eine schmeichelhafte Anerkennung seines Kampfes für das wahre Wohl Wilkaus geerntet.

Maechler sah in dem lächerlichen wirren Wirbel, der alles in Wilkau durch- und gegeneinander drehte, die ruhige, tätige Besonnenheit, für die er in den zwei Jahren seines Aufenthaltes überall gewirkt hatte, vollkommen in Frage gestellt.



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